Durch Zufall bin ich auf diese nicht nur in Frankreich begeistert gefeierte Großstadt-Trilogie der Autorin Virginie Despentes gestoßen, die von Kritikern mit Balzac und Zola verglichen oder als feministische Antwort auf Houellebecq bezeichnet wird.
In Windeseile habe ich die drei Bände verschlungen und muss sagen – Wow, ein wirklich gelungener Wurf:
Ein fesselnder, ungeschönter Roman aus dem wahren Leben und zugleich ein realitätsnahes Panorama unserer heutigen Gesellschaft, nicht nur bezogen auf den Handlungsort Paris.
Worum geht‘s? -
Band 1:
20 Jahre lang führte Vernon Subutex einen angesagten Kult-Plattenladen in Paris und ein Leben mit Sex & Drugs & Rock‘n’Roll, bis plötzlich alles vor die Hunde geht und er von jetzt auf gleich zu den Verlierern der Digitalisierung zählt und völlig mittellos auf der Straße steht.
Was ihm zum Glück bleibt, ist eine lange Liste von Freunden, Bekannten und Kontakten auf Facebook.
Diese klappert er nun nach und nach ab, um mittels einer Notlüge jeweils für ein paar Tage irgendwo unterzukommen, ohne auch nur ansatzweise einen Plan zu haben, wie sein Leben weitergehen soll.
Im Zentrum jedes Kapitels steht jeweils ein Charakter mit seinem individuellen Lebenshintergrund und seinen persönlichen Ansichten zu gesellschaftlichen Themen. Da wären zum Beispiel
Xavier, der frustrierte, erfolglose Drehbuchautor mit rechtsextremen Ansichten;
Die attraktive Ex-Porno-Queen Pamela Kant (Nomen est omen …), die ein Lehrbuch für Kinder zum Thema Pornografie schreiben will;
Patrice aus der Vorstadt, der schnell mal zuschlägt, wenn seine innere Wut überbrodelt;
Der alleinerziehende Vater Sélim, der miterleben muss, wie ihm seine geliebte Tochter Aïcha mehr und mehr entgleitet;
Aïcha, die für sich den Islam als neuen Rückhalt gefunden hat und die ein für sie furchtbares Geheimnis aufdeckt …
So zeichnet Vernon’s ziellose Couchsurfing-Tour durch Paris das Bild einer urbanen Gesellschaft, deren Vertreter infolge von Gentrifizierung und der Verarmung breiter Bevölkerungsgruppen überwiegend desillusioniert, angsterfüllt und egoistisch sind und in der vor allem die Jungend zunehmend angepasst, materialistisch oder reaktionär ist.
Das neben Vernon und der Musik weitere Bindeglied zwischen all diesen höchst unterschiedlichen Charakteren ist der an einer Überdosis verstorbene, ehedem sehr erfolgreiche Musiker Alexandre Bleach.
Dieser hat seinem Freund Vernon ein Vermächtnis in Form von drei Videobändern hinterlassen, die als sein letztes Interview gelten.
Während sich Vernon die Videos nicht einmal angeschaut hat, ist manch anderer sehr an diesen interessiert, insbesondere der wohlhabende Filmproduzent Dopalet, der eine Undercover-Cyber-Aktivistin, „die Hyäne“, damit beauftragt, ihm die Bänder zu beschaffen, wobei seine Gründe dafür zunächst im Dunkeln liegen.
Da Vernon nirgendwo lange bleibt und immer wieder verschwindet, starten seine vom schlechten Gewissen geplagten Freunde schließlich unter #subutex im Netz eine Suche nach ihm, von der er selbst nichts weiß.
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Zu den folgenden zwei Bänden soll nur so viel verraten werden:
Bände 2 & 3:
Natürlich werden ihn seine Freunde finden – doch wie wird es weitergehen mit dem obdachlosen Vernon Subutex?
Welche gefährliche Wahrheit werden die Videobänder von Alex Bleach zutage fördern und welche Konsequenzen wird diese für die Betroffenen haben?
Auch wenn sich die Hauptperson Vernon mehr und mehr zum Mittelpunk und Fixstern der sich neu formierten Gemeinschaft entwickelt, die regelrecht um ihn kreist bzw. tanzt,
tritt er im 2. Band zugleich auch etwas in den Hintergrund, was Raum für die Weiterentwicklung der anderen Charaktere schafft, bei denen es ebenfalls spannend weitergeht.
Im 3. Band ist die Geschichte um Vernon Subutex dann im Jahr 2015 angekommen, dem Jahr der Anschlagsserie vom 13. November in Paris,
deren Auswirkungen auf die Bevölkerung sich in den Protagonisten widerspiegeln.
Dazu haben die belastenden Aussagen auf den Videobändern von Alex Bleach für zumindest eine Person furchtbare Folgen …
Das Ende ist letztlich vielleicht fast erwartbar , ganz am Schluss gibt es dann noch einen kurzen visionären Ausblick.
Ob man Letzteren jetzt wirklich gebraucht hätte, sei dahingestellt und ist letztendlich auch egal. Es bleibt auf jeden Fall schrill, bunt und fesselnd erzählt!
Fazit:
Virginie Despentes erzählt knallhart, politisch unkorrekt und schonungslos, zugleich aber auch humorvoll und erzählerisch sehr gekonnt.
Ihre sehr direkte Sprache, vor allem auch wenn es um Sex geht, mag für manchen Leser gewöhnungsbedürftig sein – aber so ist’s nun mal, willkommen in der Realität!
Ich kann mich nur den zahlreichen lobenden Kritiken an dieser Trilogie anschließen, die sich wunderbar leicht lesen lässt, dabei aber dennoch nicht an der Oberfläche steckenbleibt.
Eine tolle Geschichte und zugleich eine Reise durch unsere heutige Gesellschaft.