"Unter Leuten" in "Unterleuten" - ein grandioser Gesellschaftsroman aus der deutschen Provinz
Nachdem ich von Juli Zehs Roman "Über Menschen" (2021) so begeistert war, las ich als nächstes den bereits 2016 erschienenen Roman "Unterleuten". Ein ähnliches Wortspiel im Titel, das Buch mit über 600 Seiten noch etwas dicker (yeah!) und viel gelobt, ich war mega gespannt!
Zentrum des Geschehens ist auch hier ein fiktives brandenburgisches Dorf, namentlich "Unterleuten", in dem Welten aufeinander stoßen. Die Geschichte spielt im Jahr 2010 und wird kapitelweise aus der Sicht eines anderen der etwa 10 Hauptprotagonisten erzählt.
Diese setzen sich zusammen aus alteingesessenen Dorfbewohnern mit ihrem von außen undurchsichtigen Beziehungsgeflecht aus Verwandtschaft, Freundschaft, Nachbarschaft, Feindschaft, Liebe, Schuld, Neid und Hass und zwei Paaren, die aus Berlin aufs Land gezogen sind, um dort ihre Vorstellung vom ländlichen Leben jenseits der Großstadt zu verwirklichen.
Als eines Tages ein westdeutscher Investor auftaucht und in Unterleuten ein geeignetes Grundstück für Windkraftanlagen sucht, wird so mancher hellhörig und wittert das große Geschäft, während andere sich dem Projekt widersetzen wollen. Dabei kochen alte Geschichten und Ereignisse inklusive eines mysteriösen Todesfalls aus der Zeit der Zwangsauflösung der DDR-LPGs kurz nach der Wende hoch, die die Dorfgemeinschaft aufwühlen und das Dorf zur Schlangengrube mutieren lassen, da jeder nur an seine Interessen denkt.
Dabei kommt dem ländlichen "Dorffunk" eine besondere Bedeutung zu: Denn da die Dorfbewohner mehr übereinander als miteinander reden, entspricht deren Wahrheit oft nicht dem, was sich wirklich ereignet hat, sondern ist eine brisante Mischung aus Gerüchten, Geschichten und Verleumdungen, die zu falschen Entscheidungen und Handlungen führt.
Juli Zehs Motiv zu diesem Roman war u.a. die Frage, wie Verbrechen oder sogar Kriege entstehen. Denn: Im Grunde wollen fast alle Menschen ja nichts Böses. Aber trotzdem geschieht es. Auch in Unterleuten ...
Ich habe auch diesen Roman in Windeseile gelesen, konnte kaum mehr aufhören, und kann nur sagen: WOW! Ich bin sehr beeindruckt von diesem Werk, das mich mit seiner fesselnden Sprache und Handlung, vor allem jedoch mit den so echt und lebendig gezeichneten Charakteren in seinen Bann gezogen hat. Ein wahrlich meisterhafter deutscher Gesellschaftsroman mit großer Tiefe!
Der Roman wurde übrigens 2018 auch verfilmt (3 Teile zu jeweils ca. 90 min.) – das habe ich mir natürlich auch angeschaut. Und ja – ich finde die Verfilmung sehr gelungen, insbesondere finde ich auch die Darsteller sehr gut. Im letzten Drittel wird allerdings doch in einigen Dingen vom Roman abgewichen – für das Gesamte nicht wirklich schlimm, aber ich fand es gut, vorher den Roman gelesen zu haben. Aber wer nicht lesen möchte, sollte schauen!