Jean-Michel Guenassia: Der Club der unverbesserlichen Optimisten

  • Ich habe endlich mal wieder im öffentlichen Bücherkasten am Rhein ein sehr gutes Buch gefunden, das mich ziemlich gefesselt hat, obwohl es recht dick ist:


    Jean-Michel Guenassia: Der Club der unverbesserlichen Optimisten

    Der Roman spielt im Paris der frühen 1960er Jahre und ist eine Mischung aus "Coming-of-Age" (Entwicklungsroman), Familiendrama und europäischer Zeitgeschichte in politsich turbulenten Zeiten - stets gewürzt mit einer guten Prise Humor und Optimismus.

    Der Ich-Erzähler Michel Marini, anfangs gerade mal zwölf Jahre jung, interessiert sich nicht für die Schule, spielt dafür lieber Tischfußball oder Schach, fotografiert gerne und liebt vor allem das Lesen von Büchern - sowohl während des Schulunterrichts als auch im Gehen durch die Straßen von Paris.

    In den Jahren bis zu seinem Abitur ist sein Leben - wie sollte es auch anders sein - geprägt von Problemen in der Schule, Ärger mit der Familie, vom Einzug des Rock'n'Roll und der ersten Liebe, das Ganze vor dem politischen Hintergrund des kalten Kriegs und vor allem des Algerienkriegs, zu dem sich sein sieben Jahre älterer Bruder Franck freiwillig meldet.

    Den Fortgang des Bruders kompensiert Michel durch die Freundschaft zu dessen Freundin Cécile, deren Bruder Pierre ebenfalls in den Algerienkrieg zieht.

    Mit ihr verbringt er einen Großteil seiner Freizeit, am liebsten im Jardin du Luxembourg am romantischen Médicis-Brunnen.

    Doch nichts ist von Dauer und alles entwickelt sich anders als erhofft. Im Verlauf der Ereignisse und Jahre empfindet Michel sein persönliches Umfeld zunehmend als Wüste, da einer nach dem anderen der ihm Nahestehenden plötzlich fort ist oder ihn verlässt.

    Eines Tages entdeckt er im Hinterzimmer eines Bistros den »Club der unverbesserlichen Optimisten«, einen Treffpunkt heimatloser, politischer Flüchtlinge aus verschiedenen Ostblock-Staaten, an dem auch Jean-Paul Sarte ab und zu anzutreffen ist.

    Die durchweg viel älteren Clubmitglieder akzeptieren den jungen Michel und seine fortan regelmäßigen Besuche.

    In Rückblicken erfährt man ihre Geschichten und Beweggründe, weswegen sie ihre Heimat und ihre Familien fluchtartig verlassen mussten.

    Mit dem geheimnisvollen Sascha, der in einem Fotogeschäft arbeitet und dem die Clubmitglieder aus unbekannten Gründen feindselig gegenüberstehen, freundet sich Michel näher an. Erst am dramatischen Ende des Romans wird dessen tragischer Hintergund aufgelöst und mit den Geschichten einiger der Clubmitglieder verwoben.

    Zugegeben: Der Roman wimmelt geradezu von Charakteren, Lebensgeschichten und Nebenschauplätzen.

    Andererseits hat man auf 680 Seiten auch hinreichend Zeit, diese kennenzulernen.

    Schön formulierte Sätze und ein durchweg sprachlich unterhaltsamer Plauderton machen das Lesen leicht und bringen auch vermeintlich "schweren" Stoff

    verständlich rüber, u.a. über osteuropäische, v.a. russische Zeitgeschichte nach dem 2. Weltkrieg.

    Was mir in diesem Buch besonders gefällt, ist das Lokalkolorit von Paris. Auch wenn die meisten der Protagonisten und ihre Geschichten aus Osteuropa stammen - die Stadt ist stets präsent und ein prägender Schauplatz der Handlung.

    Insbesondere der immer wieder beschriebene und erwähnte Treffpunkt am Médicis-Brunnen mit seinen wunderschönen Marmorstatuen der Liebenden Galatea und Acis im Jardin du Luxembourg vermittelt mir unmittelbar das Gefühl, gemeinsam mit den Protagonisten mitten in Paris zu sein.

    Völlig irreführend erscheinen mir allerdings das Coverfoto sowie der Text auf dem Buchrücken:

    Die abgebildeten Personen passen nicht zu den im Roman beschriebenen, auch sind die Protagonisten nie mit einem Hund unterwegs und überhaupt gibt es diese gesamte Szene nicht im Buch!

    Wer dieses Foto sieht, denkt an eine Liebesgeschichte - und wird damit völlig irregeführt. Besagter Text unterstützt den durch das Foto gewonnenen, falschen Eindruck. Sicher geht es in dem Roman auch um Liebe - die erste große Liebe oder die Liebe zum Heimatland. Doch das eher am Rande.

    Viel mehr geht es um Heimatlosigkeit, Verlorenheit, das Erwachsen- und Verlassenwerden, eingebettet in den Rahmen eines Epochenbilds des Paris der 1960er Jahre.

    Ein wirklich sehr schön geschriebenes Buch, das verdient 2009 in Frankreich mit dem »Prix Goncourt des lycéens« ausgezeichnet wurde.


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