"Grand Hotel Europa" von Ilja Leonard Pfeijffer

  • "Grand Hotel Europa" ist ein recht komplexer Roman, dessen Haupterzählfaden der Rückblick auf eine Liebesgeschichte ist, die mit Gedanken zur Vergangenheit und Zukunft Europas, zur europäischen Identität, zu Flüchtlings- und Tourismusströmen und zum Thema Reisen und Tourismus gespickt ist.

    Erzählt wird die Geschichte eines alternden Schriftstellers, Ilja Leonard Pfeijffer bzw. dessen Alter Ego, der sich auf unbestimmte Zeit in das einst mondäne, mittlerweile jedoch etwas heruntergekommene "Grand Hotel Europa" (als Sinnbild des Kontinents) einmietet, um dort sowohl emotional als auch literarisch das Ende einer Liebesbeziehung aufzuarbeiten.

    Hier trifft er u.a. auf den jungen, afrikanischen Hotelpagen Abdul, der nicht gerne über Vergangenheit spricht und seine eigene lieber vergessen möchte.

    Für ihn als ehemaligen Flüchtling ist die Zukunft wichtiger. Ebenso für den neuen chinesischen Investor, der das Grand Hotel Europa aufgekauft hat und nun zukunftsfit machen will, sprich: Attraktiv für Touristen. Diese Zielgruppe wiederum kommt wegen Europas großartiger Vergangenheit.

    Und was macht Europa zwischen erdrückender Vergangenheit und ungewisser Zukunft? - Es vermarktet seine Vergangenheit wie eine Museums-Attraktion, der Massentourismus und die Zerstörung des Authentischen beginnt.

    In einer Mischung aus romanhaftem Erzählen, wohl ausformulierten Dialogen und essayartigen Passagen widmet Pfeijffer sich stilvoll und intellektuell den o.g. Themen wie in einem ins 21. Jahrhundert katapultierten "Zauberberg".

    Interessant, gerade für Liebhaber des Reisens, sind die Beschreibungen und Gedanken zum Themenkomplex Urlaub/Reisen/Tourismus. Auch wenn ich nicht allen Thesen diesbezüglich zustimmen kann (oder vielleicht gerade deswegen) bieten diese doch reichhaltig Diskussionsstoff. Zur Veranschaulichung seien hier kurz zwei Beispiele exemplarisch zitiert, ohne dass ich diese jetzt kommentiere:

    <<..."Eines muss man bei Reisen, so wie wir sie machen, unbedingt ablegen, und das ist: zu urteilen ...">> (S. 214), sagt zum Beispiel ein Weltreisender im Zusammenhang mit einem krassen Erlebnis in Pakistan.

    **

    <<"Glauben Sie, dass Reisen den Horizont erweitert?"

    "Ich glaube, dass Nachdenken den Horizont erweitert."

    "Hilft Reisen beim Nachdenken?"

    "Wohl ähnlich, wie eine Flucht bei der Lösung von Problemen hilft ..." ... (S. 234)

    ... "Ich kann nur meine Überzeugung wiederholen, dass Nachdenken den Horizont erweitert, während das Reisen das Nachdenken eher behindert als anregt."...>> (S. 238)

    **

    Dabei verstrickt sich der Ich-Erzähler augenzwinkernd auch selbst in Kontroversen, z.B. als er (auf S. 278) nach seinem peinlichen Besuch eines Slum-Viertels in Skopje zu dem Schluss gelangt:

    "Ich musste endlich damit aufhören, ein Anstoß erregender Tourist zu sein, und wieder dazu übergehen, an den Touristen Abstoß zu nehmen. Ich musste endlich nach Hause."

    Nicht viele Buchseiten weiter (S. 305) macht er sich darüber Gedanken, dass er für die Verlängerung seiner Goldkarte von Alitalia dringend weitere Flugmeilen benötigt.

    Als konkrete Beispiele einer völligen Auslieferung an den Tourismus, einhergehend mit dem Verlust der eigenen Identität, werden vor allem Venedig, aber auch Amsterdam, Giethoorn und Cinque Terre beschrieben.

    Ach ja, und dann ist ja auch noch die Liebesgeschichte, auf die der Schriftsteller im Grand Hotel Europa zurückblickt, die im wenn schon noch nicht in der Lagune, dafür aber längst im Massentourismus ertrunkenen Venedig spielt. Doch auch hier geht es nicht nur um seine Liebe zur Kunsthistorikerin Clio, sondern auch um die Liebe zur Geschichte und zur Kunst, und ja - Sex darf natürlich auch nicht fehlen. ;)

    Letztendlich laufen am Ende alle Fäden zusammen und ich kann nur sagen:

    Ein wirklich toller, sehr gekonnt erzählter Roman mit vielen schönen und intelligenten Formulierungen und etlichen Denk- und Diskussionsanstößen, die in all ihrer Ernsthaftigkeit immer wieder von einem aufblitzenden genialen Humor, einem Augenzwinkern und einer guten Portion Selbstironie durchbrochen werden.

    Von mir eine absolute Lese-Empfehlung!

    Am 28.10.2021 erscheint übrigens die Taschenbuchausgabe dieses Romans.


    Mein Lesezeichen fand ich jetzt auch irgendwie passend zum Buch ... :S

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