Ich habe einen Schatz gefunden! Ein Kleinod!
Ganz unverhofft in einem öffentlichen Bücherschrank am Rhein, an dem ich an jeden Arbeitstag in der Mittagspause vorbeispaziere – und immer neugierig hineinspähe, jedoch selten wirklich etwas von Interesse darin vorfinde.
Doch diesmal erwartete mich darin eine freudige Überraschung, ein Kuriosum schon vom Titel her, welcher mir direkt ins Auge fiel: „Reise des Seepferdchens". Und anstelle der Nennung eines Autors stand darunter „von ihm selbst erzählt". Hm. Meine Neugier war geweckt.
Ich nahm das grüne, grossformatige Taschenbuch mit einer überdimensionalen Seepferdchenzeichnung auf dem Cover heraus, überflog die Inhaltsangabe auf dem Buchrücken - auf welchem dann doch Foto, Name und Kurzbeschreibung des Verfassers Hans Schaarwächter prangten - und klappte schliesslich das Buch auf:
Innen keine Angaben zu einem bekannten Verlag, zu Auflage oder Erscheinungsjahr, „Illustrationen: Das Seepferdchen", „Seepferdchenstudio". - Aha, wohl ein im Selbstverlag gedrucktes Werk, interessant. Darin lag ein dem Buch zugehöriges, kleines Lesezeichen aus durchsichtiger Plastikfolie, auf welchem ebenfalls das Abbild des Seepferdchens samt Buchtitel prangte. Hübsche Idee.
So reiste das Seepferdchen also nun zu mir nach Hause, wo ich gespannt seinen Reisebericht zu lesen begann.
Die Inhaltsangabe auf dem Buchrücken bringt es bereits auf den Punkt: „Dieses Buch fällt aus dem Rahmen":
Auf unerklärliche, märchenhafte Weise finden der menschliche Protagonist Poul und ein namenloses Seepferdchen zusammen und begeben sich gemeinsam auf eine einjährige Weltreise - jedoch nicht zu Wasser, wie man es eventuell noch eher von einem Seepferdchen „erwarten" würde, sondern auf ganz menschlich-herkömmliche Weise per Flugzeug.
Aus den tiefen Tangwäldern des Mittelmeeres gelangt das Seepferdchen so auf wundersame Weise in die Pilzwälder der Wolkenkratzer, in zahllose Hotels, Restaurants, Museen, Theater und Schauplätze der Welt, angefangen von Lissabon über Südamerika, Westafrika, Madagaskar, Iran, Indien, Bangkok, Hongkong, Japan und Alaska, insgesamt in 33 Länder, stets nach der Devise „überall ankommen wie ein Kind", sehen, erleben, staunen.
Natürlich kann das Seepferdchen, oder „Mademoiselle Hippocampe" (lat. von Hippocampus = Seepferdchen), wie Poul seine winzige Reisegefährtin nennt, auch sprechen – nicht zuletzt hat es ja den Reisebericht geschrieben! – und das nicht nur mit Poul, sondern auch mit anderen Menschen, die ihnen unterwegs begegnen und für solch eine Kuriosität empfänglich sind. Dabei neigt das Seepferdchen durchaus gerne zu Ironie und Kritik an den Menschen und beweist dadurch seine Intelligenz (vgl. Hippocampus = Teil des menschlichen Gehirns).
Die Dialoge zwischen den beiden klingen oftmals etwas altmodisch, teilweise gespickt mit inzwischen so nicht mehr im allgemeinen Sprachgebrauch genutzten Wörtern. Dies mag wohl daran liegen, dass das Buch lt. Internetrecherche im Jahr 1983 erschienen ist und der Autor im darauf folgenden Jahr im hohen Alter verstarb. Man kann also nur mutmassen, wann es geschrieben wurde, falls dies überhaupt „in einem Rutsch" geschah oder eher über einen längeren Zeitraum hinweg.
Wie dem auch sei – ich empfinde es als ein ganz grossartiges, süsses, liebevolles und wunderbar „anderes" Reisebuch für alle, die die weite Welt lieben und sich immer auch für die Menschen, ihre Kultur, ihren Glauben und das „Alltägliche" in der Fremde" interessieren.
Zu kaufen gibt es dieses Buch wohl leider nur noch vereinzelt auf eBay oder in Buchantiquariaten – oder vielleicht in einem öffentlichen Bücherschrank. Dieses Exemplar, was ich nun in Händen halte, wird jedenfalls hier bleiben – und wer weiss, vielleicht wird das Seepferdchen fortan mit mir reisen.